Lieber Jürgen Domian, Greta Thunberg hat in der Sache recht

Lieber Jürgen Domian,

hiermit antworten wir, die Regionalgruppe Köln/Bonn der Scientists for Future, auf Ihren „offenen Brief“ im Kölner Stadt-Anzeiger vom 6. März.
Es ist Ihr gutes Recht, von Greta Thunberg oder irgend jemand anderem genervt zu sein. Wir sehen uns an dieser Stelle jedoch in der Pflicht, darauf hinzuweisen, dass Greta Thunbergs Aussagen auf Fakten und dem anerkannten Stand der Wissenschaft basieren und damit weitgehend unabhängig von ihrer Person sind. In der Sache hat sie eindeutig recht und wir müssen – auf jeder Ebene – schnellstens handeln , damit die zukünftigen Generationen noch eine lebenswerte Erde vorfinden.

Sie sagen: „Das Weltklima wird nicht in Deutschland oder Schweden gerettet.“ Das ist leider nur fast richtig, es fehlt ein kleines Wörtchen: „Das Weltklima wird nicht nur in Deutschland oder Schweden gerettet“. Es stimmt, dass in allen Staaten der Erde erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um eine Chance zu haben, die Erderwärmung in Grenzen zu halten. Folgerichtig ist die von Greta Thunberg entfachte Fridays-For-Future-Bewegung auch weltweit aktiv – in praktisch allen Staaten, in denen freie Meinungsäußerung erlaubt ist – nicht nur in Deutschland und Schweden.

Zweifellos müssen auch Staaten wie China, Indien oder Polen größere Anstrengungen zum Klimaschutz unternehmen und mittelfristig ihre Kohlendioxid-Nettoemissionen auf Null herunterfahren. Aufgrund der historischen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung, des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes und der Tatsache, dass wir in Deutschland ein Vielfaches des Pro-Kopf-Verbrauches der ärmeren Länder haben, ist aber vollkommen klar, dass Industrieländer wie Deutschland vorangehen müssen. Wenn Sie sagen „Wir sind völlig unbedeutend“, dann übersehen Sie, dass jeder Deutsche im Mittel das Doppelte des weltweiten Pro-Kopf-Durchschnitts an Kohlendioxid emittiert. Bei den historisch aufsummierten Emissionen liegt der deutsche Anteil sogar beim 6- bis 8-Fachen des weltweiten Durchschnitts.

Mit dem rechtlichen Rahmen für erneuerbare Energien hatte Deutschland schon einmal weltweite Maßstäbe gesetzt, mit dem Ergebnis, dass es heute eine echte Alternative zu den fossilen Energieträgern gibt. Leider hat unser Land diese Vorreiterrolle inzwischen aufgegeben. Dabei hat Deutschland mit seinem Ingenieurs-Know-how allerbeste Möglichkeiten, sich bei der notwendigen Umgestaltung der Energiewirtschaft an die Spitze zu setzen und damit ein riesiges Potential neuer wirtschaftlicher Möglichkeiten zu eröffnen.

Mit Recht kritisieren Sie den Jet-Set-Lebensstil, aber Sie beziehen diese Kritik nur auf die Jugendlichen der Fridays-for-Future-Bewegung (nur um ein paar Sätze später wenig nachvollziehbar ein Recht auf genau diesen Jet-Set-Lebensstil einzufordern: „Lasst den Leuten ihren SUV und ihre Urlaubsflüge!“). Klar ist, dass der Ressourcenverbrauch in Deutschland hauptsächlich vom Haushaltseinkommen abhängt und nicht vom Alter. Da die Fridays-for-Future-Protestierenden überwiegend aus der gehobenen Mittelschicht stammen, ist anzunehmen, dass sie an einem entsprechenden Leben partizipiert haben. Aus persönlichen Gesprächen wissen wir jedoch, dass viele gerade durch die Teilnahme an Fridays for Future ins Nachdenken gekommen sind und ihren Lebensstil geändert haben.

Gerade weil Sie ein Umweltfreund sind, möchten wir Sie einladen, sich in Zukunft weniger über Greta Thunberg zu ärgern und sich mehr damit auseinanderzusetzen, welche positiven Beiträge die Fridays-for-Future-Bewegung schon geleistet hat – nicht nur klimapolitisch, sondern auch im Hinblick auf die politische Kultur. Wenn Sie weitergehendes Interesse am aktuellen Stand der Wissenschaft zu Klimafragen haben, so stehen wir von den Scientists for Future Ihnen gerne zur Verfügung.

Herzlichst
Sebastian Mayer und Volker Ossenkopf-Okada

Scientists for Future Köln/Bonn

13 Kommentare Schreibe einen Kommentar

    • Vielen Dank für den Kommentar. Natürlich hat jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler Emotionen. Aber wir bemühen uns, möglichst mit Fakten zu argumentieren.

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  1. Ein alter weisser Mann mit Dreckschleuderhobby, was soll er noch sagen?

    Gut kommentiert, Scientists!

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    • Ich bin derselben Meinung. Allerdings ist “alte weiße Männer” keine brauchbare Analysekategorie.
      Z.B. Volker Quaschning. Unverzichtbar.

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      • Keiner kann etwas für die Kategorie, in die er geraten ist, oder die Privilegien, die die Kategorie historisch genießt. Insofern hilft es niemandem, “alte weiße Männer” auszuschließen, genauso wenig wie bürgerliche Jugendliche oder irgendeine andere Gruppe.
        Was man kritisieren darf und muss, ist wenn Vertreter der Gruppe glauben, dass ihnen ihre Privilegien zustehen. Und um bei den “alten weißen Männern” zu bleiben, ist es nun mal so, dass SUVs in der Bevölkerung keineswegs gleichmäßig verteilt sind. Sachliche Kritik jedoch muss jedem erlaubt sein.

        Volker Ossenkopf-Okada (S4F Köln-Bonn)

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        • Lieber Volker, danke für deinen Kommentar. Da sind alle wichtigen Argumente drinnen

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  2. Liebe SF Köln/Bonn,
    ich finde sehr gut, dass Ihr Herrn Domian noch einmal klar macht, worum es Greta und den Jungen Menschen eigentlich geht. Ob sie sich bei Ihrer Wutrede vielleicht im Ton vergriffen hat ist für den Sachverhalt völlig irrelevant. Von einem gebildeten Menschen wie Herrn Domian, hätte ich eigentlich erwartet, dass er das erkennt.

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    • Lieber Paul Linden,
      vielen Dank! Tja, da kommt auch die mediale Aufregungslogik ins Spiel: Provokationen und starke Meinungen bringen Klicks und Käufe. Nüchterne vorgetragene Argumente erzielen oft nicht dieselbe Reichweite. Aber wir arbeiten daran!

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  3. Vielen Dank für diese Antwort auf Jürgen Domians Text. Es ist die netteste (und klügste) Variante dessen, was mir als Antwort vorschwebte. Trotz alter Verbundenheit mit Domian hätte ich persönlich mir wohl kaum den Vorwurf der PR auf Kosten von Greta Thunberg verkneifen können. Würde mich mal interessieren, ob er den Beitrag wieder genau so verfassen würde.

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    • Lieber Carsten, vielen Dank für deinen Kommentar. Ein netter Umgangston hilft immer.

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  4. Vielen Dank für den informativen, sachlichen und zutreffenden Beitrag. Er hebt sich wohltuend von dem unsäglichen Rundumschlag Domians ab. Schade, dass so wenige Menschen über ihr Argumentationsvermögen verfügen.

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  5. Vielen Dank für den Kommentar. Persönliche Anfeindungen bringen nie etwas. Also meine Meinung. Mir hat das Buch „ Sprache und Sein“ wirklich geholfen.

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  6. Vielen Dank, dass Sie die unqualifiziert emotionalen Aussagen von Herrn Domian so klar zurecht rücken. Und das sachlich und freundlich.

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