Stellungnahme von Mitgliedern der S4F Regionalgruppe Köln/Bonn zu einer Inanspruchnahme der Ortslage Lützerath durch RWE

Braunkohletagebau
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Präambel: 

Die vorliegende Stellungnahme beleuchtet nur allgemeine Aspekte der uns zur Verfügung stehenden Materialien:

  1. Ergebnisbericht des MWIKE zum Braunkohleausstieg 2030, nebst Anlagen. Eine vom Landesministerium für Wirtschaft, Industrie, Klima und Energie (MWIKE) veröffentlichte Zusammenfassung der Ergebnisse verschiedener Studien, die vom Ministerium in Auftrag gegeben wurden.
  2. ‚Kurzstudie‘. ‚Coal Exit Studie (Coal Exit Research Group der Europa-Universität Flensburg, TU-Berlin, DIW Berlin). Eine unabhängige Studie, die nicht durch das MWIKE in Auftrag gegeben wurde

Sachlage:

Der umstrittene Ort Lützerath liegt am Rand des von RWE betriebenen Tagebaus Garzweiler II. Zusätzlich zu Garzweiler II werden von RWE noch die Tagebaue Hambach und Inden betrieben, wobei der Tagebau Inden aus Gründen der Anbindung an Kraftwerksstandorte und Logistik für die aktuellen Überlegungen keine Rolle spielt.

Gemäß geltender Rechtsgrundlage (Beschluss des OLG Münster vom 28.3.22) ist RWE berechtigt, die unter Lützerath liegende Kohle zu fördern.

Dennoch hat das MWIKE eine ganze Reihe von Kurzstudien in Auftrag gegeben, die die Machbarkeit eines Kohleausstiegs bis 2030 in Verbindung mit dem Erhalt der Orte des 3. Umsiedlungsabschnitts in Kombination mit dem Erhalt von Lützerath beleuchten sollen. RWE übermittelte daraufhin Berechnungen zu den Tagebauen Garzweiler II und Hambach. Diese wurden gleichzeitig mit einer gutachterlichen Stellungnahme durch ein von RWE beauftragtes Unternehmen (MTC – Mining Technology Consulting GmbH ) beim MWIKE eingereicht.

Zusätzlich dazu hat das MWIKE die von RWE eingereichten Informationen drei als unabhängig bezeichneten externen Sachverständigen(organisationen) vorgelegt:

  • BET Büro f. Energiewirtschaft: Szenariengestützte Strommarktmodelierung des Einsatzes von Braunkohlekraftwerken 2022-2030 -> Ableitung von Aussagen zum Kohlebedarf
  • FUMINCO GmbH: Plausibilisierung und Beurteilung der von RWE vorgelegten Tagebauvariante. --> Bewertung der von RWE übermittelten Angaben zu einer maximal gewinnbaren Kohlemenge (Kohleangebot)
  • ahu GmbH: Beurteilung der wasserwirtschaftlichen Aspekte der RWE-Tagebauvariante

Darüber hinaus wurde die Bezirksregierung Arnsberg durch das MWIKE als zuständige Bergbehörde für eine unabhängige Bewertung hinzugezogen.

Das MWIKE geht in seinem Bericht auch kurz auf die Ergebnisse der Studie der ‚Coal Exit Research Group‘ (CERG) ein.

Ergebnisse:

RWE kommt in seinen Berechnungen zu dem Ergebnis, dass die sichere Versorgung des Landes mit Braunkohle unter der Annahme eines Erhalts der Ortslage Lützerath nicht möglich ist. Würde die Ortslage Lützerath hingegen in Anspruch genommen, dann wäre aber weiterhin die Zielvorgabe des Bundes-Klimaschutzgesetzes (Emission von max. 108 Mio. t. CO2 bis zum Jahr 2030 und anschließender Kohleausstieg) einhaltbar.

Darüber hinaus wird auf bergrechtlich bestehende Verpflichtungen aus Rekultivierungsprogrammen hingewiesen, die auch nur unter Verzicht auf den Erhalt von Lützerath eingehalten werden können.

Sämtliche vom Ministerium beauftragten externen Gutachter stützen die Schlussfolgerungen von RWE (MTC). Zusätzlich wird auch das Argument einer voraussichtlich ungenügenden Standsicherheit der Ortslage Lützerath in Form einer Halbinsel im zukünftig entstehenden Braunkohlesee ins Feld geführt.

Von zentraler Bedeutung in der Argumentation sind hingegen die Mengen an Braunkohle, die mit und ohne den Erhalt von Lützerath gewonnen werden können, sowie der ihnen gegenüberstehende Bedarf.
RWE argumentiert, dass die unter Erhalt von Lützerath gewinnbaren Kohlemengen den erforderlichen Bedarf nicht decken würden.

Hierzu fällt auf, dass von den verschiedenen Beteiligten die unterschiedlichsten Angaben zu den benötigten Kohlebedarfen gemacht werden:

  • RWE spricht nur über den Bedarf aus dem Tagebau Garzweiler II und beziffert diesen mit 27 Mio. t/a wobei nicht klar wird, ob das Jahr 2030 noch mitgerechnet wird oder nicht. Somit schwankt die entsprechende Zahl zwischen 216 und 243 Mio. t. Wenn man davon ausgeht, dass für den Tagebau Hambach das Angebot (100 Mio. t) dem Bedarf entspricht, geht RWE von einem Gesamtbedarf zwischen 316 und 343 Mio. t aus.
  • BET betrachtet zwei unterschiedliche Szenarien und beziffert den Bedarf je nach Szenario zwischen 297 und 348 Mio. t
  • Die CERG-Studie berechnet den Bedarf auf 271 Mio. t.

Sowohl die BET als auch die CERG-Studie benutzen dazu aufwändige Energiemarktsimulationen, in denen die aus der aktuellen Energiekrise erwachsenen Notwendigkeiten zur Substitution von Gas berücksichtigt werden.
Diesen Bedarfen steht das Kohleangebot gegenüber, was in seiner Gesamtheit auch wiederum unterschiedlich berechnet wird (Garzweiler ohne L.+Hambach):

  • RWE: (170 + 100) = 270 Mio. t
  • BET: (170+110) = 280 Mio. t
  • CERG (190 + 110) = 300 Mio.t.

Bei Inanspruchnahme der Kohlevorräte unter Lützerath würde sich das Kohleangebot noch einmal um 110 Mio.t auf Werte zwischen 390 und 410 Mio. t erhöhen.

Die konservativsten Annahmen über den Kohlebedarf führen auf der einen Seite dazu, dass im Fall der Abbaggerung von Lützerath anschließend
rund 50 Mio. t. Braunkohle nicht benötigt werden. Auf der anderen Seite resultiert das optimistischste BET-Verbrauchsszenario bei einer Nichtinanspruchnahme von Lützerath in einem Unterangebot von nur 17 Mio. t (6% von 280 Mio. t). Dieses Unterangebot verschwindet, wenn man es mit dem optimistischsten Angebotsszenario (CERG) vergleicht.

Sowohl die vom MWIKE mit der Begutachtung beauftragten BET und FUMINCO als auch die Bezirksregierung Arnsberg äußern sich nicht zu den von RWE vorgelegten Annahmen hinsichtlich des Kohlebedarfs, sondern nur zu den Berechnungen hinsichtlich der förderbaren Mengen.

In den seitens des Ministeriums im Bericht gezogenen Schlussfolgerungen wird fälschlicherweise behauptet, in der CERG-Studie wäre eine Strommarktmodellierung augenscheinlich nicht erfolgt.

Fazit:

S4F Köln/Bonn erhebt nicht den Anspruch auf gutachterliche Expertise zur Bewertung der von den verschiedenen Akteuren vorgelegten Zahlen hinsichtlich der Kohlebedarfe und des Kohleangebots.

Es fällt jedoch auf, dass die Angabe von RWE zum Kohlebedarf in Höhe von 27 Mio. t/a (2022-2030) am Oberrand des Bereiches liegt, der von der BET GmbH mit ihren Szenarien überdeckt wird. Die Angabe wird weder von den eingeschalteten externen Gutachtern noch vom Berichterstatter explizit bestätigt. Es finden sich dazu lediglich allgemeine Aussagen, wonach Angaben von RWE nachvollziehbar und plausibel seien.

In Anbetracht der Schwankungsbreite der Bedarfe aus den zwei BET-Szenarien von rund 50 Mio. t und auch Unterschieden von bis zu 70 Mio. t hinsichtlich der prognostizierten Bedarfe zwischen den verschiedenen Akteuren (RWE,CERG) erscheint das mögliche Unterangebot von 17 Mio t. bei einer Nichtinanspruchnahme von Lützerath als eine nicht belastbare Zahl. Dem gegenüberstehend führt die Inanspruchnahme von Lützerath zu einem Überangebot von Braunkohle in Höhe von mindestens 50 Mio. t. Aus Klimasicht müssten diese 50 Mio. t folglich auch bei einer Räumung von Lützerath im Boden bleiben bzw. dürften nicht verstromt werden.

Es fällt weiter auf, dass das Ministerium den in der CERG-Studie ermittelten Kohlebedarf, der deutlich niedriger ist (271 Mio. t) als der von BET ermittelte (297-348 Mio. t.), wahrheitswidrigerweise damit abgetan wird, in der CERG-Studie sei augenscheinlich keine Strommarktmodellierung durchgeführt worden.

Sollte dieser Bericht die Entscheidungsgrundlage für die Ministerin gewesen sein, dann erweckt er den Anschein der Voreingenommenheit und es stellt sich die Frage, ob er wirklich als eine objektive Entscheidungsgrundlage angesehen werden kann.

Vor diesem Hintergrund fordern wir in Anlehnung an die Initiative der bundesweiten Scientists ein sofortiges Moratorium und eine Neubewertung aller Fakten.

Diese Forderung wird weiter durch die Tatsache gestützt, dass seit dem Erstellungszeitpunkt der Bedarfsberechnungen mehrere Monate vergangen sind und der ursprünglich erwartete hohe Energiebedarf für den aktuellen Winter bisher nicht eingetreten ist.

Des Weiteren weisen wir darauf hin, dass der von der Landesregierung als Erfolg angesehene Kompromiss, wonach die Inanspruchnahme von Lützerath durch das Vorziehen des Kohleausstiegs von 2038 auf 2030 zu rechtfertigen sei, nicht mit belegbaren CO2-Einsparungen verbunden ist, da unter den ökonomischen Bedingungen steigender Zertifikatspreise im ETS die Wirtschaftlichkeit der Braunkohleverstromung nach 2030 ohnehin nicht mehr gegeben sein wird, siehe Aurora Energy Research 2022.

Effektiv führt die Inanspruchnahme von Lützerath somit zu zusätzlichen CO2-Emissionen und somit zu einer Abkehr vom 1,5 °C-Ziel des Pariser Abkommens. Deutschland wird seine völkerrechtlichen Verpflichtungen aus dem Klimaabkommen verletzen.

Dr. Tomas Forkert
Prof. Dr. Kathrin Rothenberg-Elder
Dr. Dirk Krämer
Dipl. Phys. M.A. Benjamin Streit
PD Dr. Volker Ossenkopf-Okada
Dr. Anja Neuber
Dr. Britta Holbeck
Dr. Petra Schmidt
Dr. Ute Symanski
Dr. Maria Osietzki
M.Sc. Janine Birnbach
Dr. Malte Rast
Dr. Thorsten Reppert
Dr. Katharina Derkorn
Dipl.-Geogr. Birgit Stockdreher
Dr. Wolfgang Hennig
Prof. Dr. Michael Schmitt
Dr. Henk van Liempt
Dr. Paul Martin Küpper
Dr. Evrim Kutlu
Prof. Dr. Johanna May
Prof. Dr. Nico Schauerte
Dr. Sebastian Mayer

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